keine Rückabtretung bei gemeinsamer Sorge
BGH, 18.03.2020

keine Rückabtretung bei gemeinsamer Sorge

Bei gemeinsamer Sorge müssen beide Elternteile die Rückabtretung unterschreiben (BGH, 18.03.2020, XII ZB 213/19)

Die Entscheidung ist wichtig – nicht nur für alle Jobcenter, Unterhaltsvorschusskassen und Beistände.
Sie sollte dazu führen, dass die Behörden sich die Formulierung in den Rückabtretungsverträgen genauer anschauen. 

FAZIT:

Steht die elterliche Sorge für ein Kind den Eltern gemeinsam zu, scheidet die Rückabtretung übergegangener Unterhaltsansprüche wohl i. d. R. aus.

Diese Tatsache ist besonders für Beistände wichtig, wenn Sie die Ansprüche gerichtlich geltend machen müssen. Außergerichtlich dürfte die sog. Einziehungsermächtigung legitimieren, übergegangene Rückstände einzuziehen.

Da die Behörde eine Beratungspflicht hat und nichtige Rückabtretungen Schadensersatzansprüche auslösen dürften, ist das „Weitermachen wie bisher“ sehr gewagt.

Vereinbart das Amt die Rückabtretung, sollte sich der Zeitraum im Hinblick auf die Kostentragung ausdrücklich auf die Zeit vor Rechtshängigkeit beziehen.

Sieht das Jobcenter von einer Heranziehung ab, kann der Berechtigte i. d. R. die Unterhaltsrückstände selbst verlangen.

Der Bundesgerichtshof hat am 18.03.2020, XII ZB 213/19, zu BGB § 1629; SGB II §§ 33, 38, veröffentlicht bei openJur 2020, 5542 sowie in der FamRZ 2020, 991 [m. Anm. Schürmann, S. 995] eine wichtige Entscheidung zur Rückübertragung übergegangener Unterhaltsansprüche getroffen. Im Einzelnen dazu aus der Entscheidung:

Auswirkungen auf die Praxis der Unterhaltsheranziehung für Jugend- und Sozialämter, Jobcenter und vor allen Dingen auch der Beistände

Allgemein zur Rückübertragung übergegangener Unterhaltsansprüche auf Sozialleistungsempfänger

Da Sozialleistungen grundsätzlich nur nachrangig gewährt werden, geht der Unterhaltsanspruch ggf. bis zur Höhe der Sozialleistungen auf die jeweilige Sozialbehörde über. Die §§ 33 Abs. 4, 7 Abs. 4 UntVorschG, 94 Abs. 5 SGB XII regeln sämtlich, dass der Sozialleistungsträger im Einvernehmen mit dem Leistungsempfänger die übergegangenen Unterhaltsansprüche zur gerichtlichen Geltendmachung auf diesen zurückübertragen kann. Mit dieser Rückübertragung wird im Einzelfall vermieden, dass der Pflichtige auf Unterhalt sowohl vom Leistungsempfänger als auch – und nur für die übergegangenen Unterhaltsrückstände – vom Sozialleistungsträger gerichtlich in Anspruch genommen wird. Im Grunde dient die Rückübertragung der Verfahrensökonomie und Gewährleistung eines einheitlichen Verfahrens.

Ob es für den Leistungsempfänger Sinn macht, die übergegangenen Rückstände mit geltend zu machen, darf bezweifelt werden. Selbst wenn nicht alle Rückstände auf den Leistungsträger übergegangen sind, welches (wirtschaftliche) Interesse sollte der Leistungsempfänger haben, neben den ihm zustehenden Rückständen und laufenden Unterhalt auch die Ansprüche des Amtes mit geltend zu machen? Eine Pflicht besteht jedenfalls nicht. Die den Leistungsempfänger vertretenen Rechtsanwälte sehen die Rückabtretung zum Teil– vermutlich mit Blick auf den Streitwert – gern und fragen sogar oft nach einer Rückabtretung.

Die Rückabtretung dient maßgeblich der Sozialbehörde, die für die übergegangenen Rückstände aus der Zeit vor Rechtshängigkeit (§ 261 ZPO) kein eigenes Verfahren betreiben muss. Der Leistungsträger kann nach Ausgang des Verfahrens die in dieser Zeit übergegangen Ansprüche verlangen und erforderlichenfalls nach Titelumschreibung (vgl. OLG Stuttgart, openJur 2014, 15737 = JAmt 2014, 540 = FamRZ 2015, 158 – auflösend bedingte treuhänderische Rückübertragung) vollstrecken.
Eine Rückabtretung ist nur für die Zeit vor Rechtshängigkeit erforderlich, lediglich der Zahlungsantrag muss später umgestellt werden. Für die während des Verfahrens übergehenden Ansprüche bleibt der Leistungsempfänger auch ohne Rückabtretung legitimiert (§ 265 Abs. 2 ZPO – gesetzliche Prozessstandschaft), was in der Praxis leider ganz oft übersehen wird: Der Leistungsempfänger benötigt keine Rückabtretung für alle bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung fälligen Ansprüche, obschon das in vielen Standardvordrucken so steht. Mit dieser Formulierung tut sich die Behörde im Hinblick auf die Kostenerstattungspflicht (dazu noch später) gerade keinen Gefallen.

Die Rückabtretung hat für den Leistungsträger vielleicht den Vorteil einer Arbeitsersparnis, ist aber gleichwohl auch mit Risiken verbunden. In der Praxis ist sehr oft der Informationsaustausch zwischen Leistungsträger und -empfänger bzw. dessen Rechtsanwalt ein großes Problem. Der Informationsaustausch macht wegen mehrfacher Nachfragen teilweise den gleichen Aufwand wie die eigene Geltendmachung des Anspruchs. Da dem Leistungsempfänger zunehmend deutlich wird, dass er keine wirtschaftlichen Vorteile durch die Rückabtretung erlangt, werden oft auch ohne Absprache mit dem Amt fragwürdige Regelungen getroffen. Um eine wirklich zeitnahe Information sicherzustellen wird empfohlen, dem vom Leistungsempfänger bzw. dessen Rechtsanwalt betriebenen Verfahren ggf. als Nebenintervenient beizutreten.

Sehr viele Behörden verzichten wegen dieser Risiken auf die treuhänderische Rückabtretung. Sie warten ggf. den Ausgang des Verfahrens ab und verlangen danach verbleibende eigene Ansprüche.

Der BGH entschied, dass bei gemeinsamer Sorge ein Elternteil kein Recht hat, mit der Sozialbehörde „allein“ eine Rückabtretung übergegangener Unterhaltsansprüche zu vereinbaren.

Sehr oft praktiziert und geradezu empfohlen wird die Rückabtretung im Falle des Bestehens einer Beistandschaft (vgl. dazu DIJuF-Themengutachten: Treuhänderische Rückübertragung von gesetzlich auf einen Sozialleistungsträger übergegangenen Unterhaltsansprüchen vom 22.02.2013).
In fortschrittlichen Behörden gibt es mit den Beiständen abgestimmte Kooperationsvereinbarungen.
Der BGH entschied entgegen der Vorinstanz OLG Frankfurt a. M., 24.10.2018, 4 UF 137/17, §§ 1603, 1629 II BGB, dass das Vertretungsrecht nach § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht die Befugnis des Obhutselternteils umfasst, für sein Kind eine Vereinbarung über die Rückübertragung der Unterhaltsansprüche i.S.v. § 33 Abs. 4 Satz 1 SGB II zu schließen.

Steht die elterliche Sorge für ein Kind den Eltern gemeinsam zu, so kann der Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, zwar die Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend machen (§ 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB).

Diese Befugnis aus § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB beschränkt sich aber auf die „eigenen“ Ansprüche des Kindes und erfasst nicht das Recht, mit der Behörde zu vereinbaren, dass auch die vom Anspruchsübergang (nach § 7 UntVorschG, § 33 SGB II oder § 94 SGB XII) erfassten Unterhaltsrückstände mit geltend gemacht und zu diesem Zwecke rückübertragen werden.

Der Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, ist berechtigt die (laufenden) Ansprüche für die Zukunft gerichtlich geltend zu machen. Denn insoweit sind noch keine Sozialleistungen erbracht worden und der Anspruchsübergang erfolgt ggf. erst später mit Leistungserbringung. Zudem können dem Kind auch Unterhaltsrückstände zustehen, die z. B. den monatlichen Sozialleistungsbetrag überstiegen oder aus anderen Gründen (z. B. wegen § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II – sog. Vergleichsberechnung- dazu noch später) vom Anspruchsübergang nicht erfasst waren.

Auswirkungen der BGH-Entscheidung auch auf Rechtsanwälte und Beistände

Das Sorgerecht für minderjährige Kinder bleibt in Deutschland nach fast allen Ehescheidungen bei beiden Elternteilen. Seit der Änderung der familiengesetzlichen Regelungen 2009 liege dieser Anteil konstant bei 95 Prozent.“, heißt es hier.

Von daher dürfte die BGH-Entscheidungen, wenn die Rückabtretung übergegangener Unterhaltsansprüche erfolgt, erhebliche Auswirkungen auf die Praxis – vor allem auch für die am Verfahren beteiligten Rechtsanwälte und Beistände – haben.

Macht die Gegenseite geltend oder stellt das Gericht von Amts wegen (z. B. bei Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe) fest, dass eine Rückabtretung nicht wirksam verabredet wurde, ergeben sich im Hinblick auf die Kostenentscheidung zum Teil erhebliche finanzielle Risiken für alle Beteiligten, auf die noch einzugehen sein wird.

Nur die wirksame Rückabtretung verpflichtet zur Kostenerstattung (?) Löst die nichtige Rückabtretung Schadensersatzansprüche aus?

Kosten, mit denen der Leistungsempfänger „dadurch“ selbst belastet wird, sind zu übernehmen, heißt es in den zitierten Sozialgesetzen.

Sobald sich die Geltendmachung rückübertragener Ansprüche neben den beim Unterhaltsgläubiger verbliebenen Unterhaltsansprüchen kostenrechtlich auswirkt, sollte bei der Formulierung der Rückabtretung darauf geachtet werden, dass sie sich nur auf die Zeit vor Rechtshängigkeit bezieht.

Der BGH hat am 2. April 2008 – XII ZB 266/03, hat entschieden, dass dem Leistungsempfänger ein Anspruch auf Verfahrenskostenvorschuss zusteht und er für den Zeitraum, auf den sich die Rückabtretung bezieht, keinen Anspruch auf Verfahrens- oder Prozesskostenhilfe hat. Aus der Praxis wird immer wieder berichtet, dass die Gerichte diese Entscheidung zum Teil schlichtweg ignorieren und man genau deshalb die Rückübertragung weiterhin praktiziere.

„Lehnt ein Sozialhilfeträger die Kostenübernahme entsprechend der gesetzlichen Regelung ab, so ist die Erklärung nichtig mit der Folge, dass die Rückabtretung selbst gemäß § 139 BGB unwirksam ist“, entschied bereits das OLG Hamm, FamRZ 2000, 1222. Der BGH geht in seiner Entscheidung vom 18.03.2020 ebenfalls unter Rdnr. 37 auf diese Problematik ein, wenn dem Leistungsempfänger aufgegeben werde, Verfahrenskostenhilfe zu beantragen. Eine solche Verpflichtung verstoße gegen § 33 Abs. 3 Satz 2 SGB II, was für die anderen Sozialleistungsvorschriften ebenfalls gelten dürfte. Ein Blick in die Standardvordrucke der Ämter sollte jetzt nachdenklich machen, oder?

Sind Leistungen des Jobcenters bedürftigkeitsmindernd zu berücksichtigen, wenn der Unterhaltsanspruch wegen der Vergleichsberechnung nicht auf die Behörde übergeht?

Der BGH geht auch in der Entscheidung vom 18.03.2020 auf die Problematik ein, dass nicht jeder Unterhaltsanspruch auf das Jobcenter übergeht.
Nach § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II muss das Jobcenter den Anspruchsübergang prüfen, wenn es über alle für die Durchführung der sog. Vergleichsberechnung erforderlichen Angaben des darlegungs- und beweispflichtigen Unterhaltsschuldners auch zu den Personen seiner Bedarfsgemeinschaft verfügt (vgl. BGH, 08.05.2019, openJur 2019, 27917). Die sozialrechtliche Vergleichsberechnung erfolgt nach völlig anderen Gesichtspunkten und lässt fiktive Einkünfte außen vor. Das OLG hatte in der Vorinstanz keine Vergleichsberechnung durchgeführt.

Ist ein Anspruchsübergang auf die Behörde ausgeschlossen, verbleibt der Anspruch grundsätzlich beim Unterhaltsberechtigten.

Für die sozialrechtliche Grundsicherung hat der BGH entschieden, dass der Berechtigte verpflichtet ist, diese Leistungen in Anspruch zu nehmen. Der Berechtigte müsse sich den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen halten lassen, wenn er den Unterhaltsanspruch trotzdem geltend mache (vgl. BGH, 08.07.2015, XII ZB 56/14, §§ 43 III SGBXII, 1602, 1606 III BGB: Grundsicherung und Elternunterhalt, openJur 2015, 12699).

Für die Grundsicherung für Arbeitssuchende finden sich dazu in den OLG-Leitlinien unter Ziff. 2 ff. differenzierte Ausführungen. Das OLG Köln verweist ergänzend auf die BGH-Entscheidung zu § 91 BSHG (Sozialhilfe) in FamRZ 1999, 843.

Der BGH problematisiert in der Entscheidung vom 18.03.2020 unter Rdnr. 17 ff., ob es dem Leistungsempfänger auch hier nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt sein könne, trotz für den Zeitraum erhaltener Sozialleistungen den Unterhaltsanspruch geltend zu machen. Hierfür bedürfe es aber eine Abwägung der Interessen des Unterhaltsschuldners und Unterhaltsgläubigers im Einzelfall. Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung käme nur in Betracht, wenn andernfalls die Gefahr für den Unterhaltspflichtigen bestünde, mit derartig hohen Forderungen aus der Vergangenheit belastet zu werden, dass es ihm voraussichtlich auf Dauer unmöglich gemacht würde, diese Schulden zu tilgen und daneben noch seinen laufenden Verpflichtungen nachzukommen.